Kapitel 15
Der Bach
Der Gang hinter dem Regal führte sie tiefer in den Fels. Feuchte Luft wehte ihnen entgegen, Tropfen perlten von der Decke, und bald hörten sie ein stetiges Rauschen. Das bekannte Knistern mischte sich hinein, nun wie fernes Zischen, das im Wasser gefangen lag.
Schließlich öffnete sich der schmale Weg, und sie traten an das Ufer eines Baches. Schwarzes Wasser strömte gurgelnd vorbei, schneller als sie erwartet hatten. Nebel stieg von der Oberfläche auf, formte wirbelnde Gestalten, die im Fackelschein tanzten und gleich wieder zerflossen.
„Hier hat er nicht nur geforscht,“ murmelte Tsaluah mit gesträubten Federn. „Hier haben sich Bindungen verschoben. Wasser gegen Fels, Luft gegen Dunkel – nichts ist im Gleichgewicht.“
Auf der anderen Seite des Baches erhob sich ein Portal. Zwei gewaltige Drachenstatuen flankierten es, geduckt, die Flügel halb erhoben, die Mäuler weit geöffnet. Ihr Stein wirkte nicht tot, sondern lauernd, als warteten sie seit Jahrhunderten darauf, jemanden zu verschlingen.
Die Flügel der Pforte standen einen Spalt offen. Ein flackernder Schein drang hindurch, warm und doch beunruhigend. Das Heptagramm, das in den Stein eingraviert war, glomm schwach und schien im Rhythmus des Wassers zu pulsieren.
„Das ist kein Werk der Räuber,“ sagte Holdine leise. „Das ist älter. Viel älter.“
Fryda schnaubte, wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Und wir sollen da durch?“
„Wir müssen,“ antwortete Krexila knapp. „Zu viel führt hierher, zu viel haben wir schon gesehen. Das Herz des Turmes liegt dahinter.“
Sie berieten nicht lange. Der Bach war zu breit, um ihn mit einem Schritt zu nehmen, doch ein Sprung konnte genügen. Einer nach dem anderen wagte es. Fryda stieß sich zuerst ab, landete hart, rutschte fast, doch hielt sich am Felsen. Holdine folgte, dann Krexila, Zoltian, Tsaluah – und zuletzt Cjendadz, der die Fackel hochhielt, als er absprang.
Das Wasser gurgelte unter ihnen, kalt, schwarz, gierig. Für einen Moment schien es, als würden Hände aus Nebel nach ihnen greifen. Doch alle erreichten das andere Ufer.
Sie standen nun vor dem Portal. Der Fackelschein tanzte über die Drachenstatuen, ließ ihre Augenhöhlen glühen, als glimmten darin noch alte Feuer.
Das Knistern war jetzt klar zu hören, wie Funken auf glühendem Metall. Es kam aus der Dunkelheit jenseits der Tür.
„Hört ihr es?“ fragte Zoltian. Seine Stimme war rau. „Es wartet.“
Holdine legte die Hand auf die kalten Steinflügel. „Dann werden wir sehen, was hier gebannt wurde.“
Langsam stießen sie die Pforte weiter auf. Ein Schwall Licht brach hervor, flackernd, unruhig, und tauchte den Nebel des Baches in goldene Funken.
Hinter dem Portal begann der Saal.