Kapitel 11
Die magische Pforte
Das Räumen der Barrikade dauerte länger, als ihnen lieb war. Stühle knackten, Eisenstangen polterten, Kisten splitterten. Jeder Laut hallte hundertfach durch die Kammer, als ob die Mauern das Geräusch nicht nur zurückwarfen, sondern sammelten und vergrößerten.
„Wenn hier unten etwas schläft, weiß es längst, dass wir da sind,“ murmelte Krexila, während sie einen zerbrochenen Pfahl zur Seite warf.
Endlich aber stand die Tür frei: massiv, eichene Planken, mit Eisen beschlagen, so alt, dass selbst das Holz schien, den Atem anzuhalten. Doch was sie verstummen ließ, war das Antlitz, das aus dem Holz geschnitzt war.
Eine Fratze. Verzerrt, übergroß, die Zunge gespalten, die Augen tief und voller Hohn, als würden sie im Fackelschein glimmen. Drei Hörner krümmten sich von der Stirn. Der Rachen war so weit aufgerissen, dass man fast erwartete, er würde sie gleich verschlingen.
Rings um das Gesicht zogen sich Linien und Zeichen, in das Holz geritzt – hastig, überlagert, widersprüchlich. Manche wirkten wie Schutzsymbole, die Priester alter Tage in ihre Bannzeichen schnitten, andere trugen den Zug wilder Krakel, als habe jemand verzweifelt jeden Namen, jedes Fragment geritzt, das ihm gegen Finsternis einfiel.
Cjendadz trat näher, die Fackel hoch erhoben. „Das ist kein Werk der Räuber. Das ist älter. Viel älter.“
Da bemerkte Holdine die Linien auf dem Boden. Im Staub waren sie fast unsichtbar gewesen – doch jetzt, wo die Barrikade weggeräumt war, glitzerten sie matt. Ein Kreis, ein fünfzackiges Muster, dessen Spitzen mit Runen markiert waren.
„Ein Bindungskreis,“ flüsterte Tsaluah, die Federn gesträubt. „Er hält die Pforte geschlossen. Nicht Eisen, nicht Holz – dies hier ist der wahre Verschluss.“
Stille senkte sich über sie. Das Feuer knackte, der Staub lag wie Schnee über ihren Stiefeln.
Dann brach Fryda die Erstarrung. Sie trat vor, das Schwert fest in der Hand, und rammte es mit voller Wucht gegen das Holz. Ein Krachen, die Klinge vibrierte in ihrer Hand – doch die Tür gab nicht nach. Ein zweiter Schlag, dann ein dritter. Nichts. Nur der Schwertstahl, der Kerben davontrug.
„Verflucht!“ fauchte sie und schleuderte einen Splitter von der Klinge weg. „Das Ding ist unzerstörbar.“
„Nicht unzerstörbar,“ widersprach Cjendadz, „versiegelt.“ Er kniete sich nieder, die Hände knapp über den Linien, die den Kreis zeichneten. Seine Lippen murmelten alte Formeln, die Fackel flackerte. Für einen Augenblick schien das Muster hell aufzuleuchten, ein Stern aus glimmendem Staub.
Dann stöhnte er auf, brach ab, die Hände zitterten. „Zu stark. Ich... ich kann es nicht brechen. Diese Bindung wurde von einem Meister gewoben. Einem, der mehr als nur Wissen hatte – er hatte Macht.“
„Also sind wir hier fest?“ fragte Zoltian und ließ sein Messer gedankenverloren gegen die Eisenbeschläge tippen.
Holdine kniete nieder, strich mit dem Handschuh über den Staub. Ihre Finger folgten den Linien, nicht wie ein Magier, sondern wie jemand, der Spuren im Boden liest. „Vielleicht… ist es nicht die Tür, die wir angreifen müssen. Vielleicht nur das, was sie hält.“
„Der Kreis,“ murmelte Krexila und beugte sich neben sie. „Wie eine Falle, die man einfach wegfegen könnte.“
Tsaluah neigte den Kopf, die Federn bebten. „Wo kein Kreis ist, gibt es keine Bindung. Das Siegel lebt nur, solange das Muster besteht.“
„Also zerstören wir es,“ entschied Fryda.
Zoltian grinste schief. „Dann fangt an zu wischen.“
Doch selbst das erwies sich als schwierig. Der Staub haftete feucht, klebrig, als wehre er sich. Mit Händen und Tüchern kamen sie kaum voran. Erst als Krexila ein Fläschchen Lampenöl über die Linien goss, löste sich die Schicht. Der Kreis brach auseinander, die Spitzen des Sterns verwischten sich.
Ein Schauer fuhr durch die Kammer. Die Fackeln flackerten auf, als hätte jemand den Atem angehalten – und losgelassen.
Langsam, ächzend, begann die Tür sich zu bewegen. Kein Schlag, kein Zauber – nur das Aufbrechen der uralten Scharniere, die seit Jahrhunderten in Fesseln lagen.
Ein Schwall modriger Luft drang heraus, so schwer, dass sie alle husteten. Es war der Atem eines Grabes, das man hätte geschlossen lassen sollen.
„Waffen bereit,“ sagte Holdine. Ihre Stimme war fest, doch ihre Finger zitterten am Griff des Schwertes.
Der Gang dahinter war schwarz. Pfützen glitzerten im Licht, Schimmel fraß sich an den Wänden entlang. Von fern, kaum hörbar, klang ein seltsames Knistern – wie erkaltende Glut.
„Da unten wartet etwas,“ murmelte Cjendadz.
Und sie wussten: Der Turm hatte ihnen erst die Schwelle gezeigt. Dahinter begann sein Geheimnis.