Kairos Prime



Kapitel 13

Der alte Magier

Der Gang endete in einer Kammer, kaum drei Schritt breit und vier Schritt tief. Ein Vorhang in der gegenüberliegenden Wand bewegte sich im schwachen Lufthauch, als atmete der Raum selbst. Zwei schwere Truhen flankierten die Öffnung, von Staub und Spinnweben überzogen.

Zu ihrer Rechten ragte ein gewaltiger Schrank, die Türen halb offen. Fetzen von Stoffen hingen darin, alte Magierroben, die bei der leisesten Berührung zerfielen wie trockenes Laub. In der Ecke daneben stand ein Kamin, schwarz von Ruß, seit Jahrzehnten erkaltet. Die Mitte des Raumes war von einem zerfallenen Tisch und einem umgestürzten Sessel gezeichnet. Der Boden lag knöchelhoch unter Staub, jede Bewegung ließ Spuren zurück, als gingen sie über Schnee.

Doch den Blick aller zog das Baldachinbett an der linken Wand auf sich. Die Vorhänge, einst wohl fein gestickt, waren von Spinnweben übersponnen und gaben beim ersten Griff nach, zerbröselten wie morsches Papier. Ein Schwall von Staub rieselte nieder, und was dahinter lag, trieb den Gefährten den Atem in die Kehle.

Die andere Hand umklammerte ein Buch.

„Er hält es fest,“ flüsterte Krexila, die einen Schritt zurückwich.

Fryda trat vor, das Schwert an der Seite, und packte den Einband. Die Knochenfinger gaben nicht nach. Selbst als sie ruckte, schien der Griff stärker zu werden, als zöge die Leiche zurück. „Bei allen Bindungen!“ knurrte sie. Sie stemmte die Klinge dazwischen, hörte die morschen Finger splittern. Erst da brach die Hand, und das Buch fiel in ihre Hände.

Es war aus dunkelrotem Leder, glatt und fest, ohne Inschrift. Als Cjendadz es vorsichtig öffnete, zerfielen die Seiten zu Staub. Vergilbtes Papier rieselte nieder, flockte auf die Laken wie Asche. Nur der Einband blieb – leer, schwer, kalt.

„Ein Gefäß,“ murmelte Tsaluah, dessen Augen matt glommen. „Dies ist kein leeres Buch. Es wurde gefüllt – und dann verzehrt.“

„Mit was?“ fragte Holdine scharf.

„Mit Bindungen, die nicht hätten angerührt werden dürfen,“ erwiderte Tsaluah. „Dies ist das Werk jener, die die Nyssareth missbrauchten. Er hat versucht, sie zu fassen, zu biegen – und wurde von ihr gebrochen.“

Cjendadz starrte auf das Buch, seine Finger bebten. „Ich… spüre Fäden. Sie sind nicht tot. Sie… warten.“ Er schluckte schwer. „Es fühlt sich an wie damals, als ich die Knochen trennte. Nur… größer. Tiefer.“

„Dann verbrennen wir es,“ schlug Fryda vor. „Noch heute Nacht.“

„Nein,“ sagte Holdine ruhig. „Verbrennen hieße, es frei zu lassen. So bleibt es gebunden. Und vielleicht… ist es der Schlüssel. Zu dem, was hier unten verborgen ist.“

Zoltian spuckte in den Staub. „Schlüssel, Fallen, Flüche – alles dasselbe. Bücher bringen selten Glück.“

Sie durchsuchten den Raum noch, fanden nur Staub, zerfallene Stoffe, wertloses Gerümpel. Doch die Atmosphäre drückte. Die beiden massiven Kerzenleuchter auf dem Boden waren mit schwarzem Wachs überzogen, als hätten sie Nächte hindurch in Finsternis gebrannt. Krexila beugte sich über die Reste und murmelte: „Er hat Licht gebraucht, aber kein Licht ertragen.“

Holdine richtete sich auf. „Dieser Ort ist kein Grab. Es ist eine Warnung. Er liegt hier nicht, weil er Ruhe fand – sondern weil ihn die Bindung selbst verschlungen hat.“

Tsaluah nickte langsam. „Die Nyssareth war seine Versuchung. Und sie hat ihn verzehrt.“

Die Gruppe schwieg. Der Schädel grinste sie an, der Staub lag dick wie Schnee, der Vorhang in der Stirnwand bewegte sich im schwachen Luftzug. Dahinter drang das bekannte Knistern, lauter als zuvor.

Der Magier war tot. Aber sein Werk lebte.